Geist ohne Grenzen
von Prof. Dr. Dr. phil. Harald Walach, Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften Europa Universität Viadrina Frankfurt/Oder
Ich bin in der letzten Zeit immer wieder auf ähnliche Themen gestoßen und habe mich gefragt, ob es einen Zusammenhang zwischen ihnen gibt. Da ist auf der einen Seite die Frage nach dem Bewusstsein, oder das Materie-Geist- oder Leib-Seele-Problem. Da ist auf der anderen Seite die zunehmend aggressiver werdende und dogmatisch argumentierende Kritik an der Homöopathie. Und dazwischen steht eine populärwissenschaftliche Haltung, die so tut als wäre klar, dass alles, was in der Welt Bedeutung hat, nichts als Materie ist. Was haben diese Themen gemeinsam? Meine Antwort: Sie sind verschiedene Formen, wie sich Geist oder Geistlosigkeit zeigt. Das will ich kurz erläutern.
Traraa, der Trauermarsch für die Fundamente unserer Kultur wird munter geblasen und kaum einen scheint es nachzudenklich zu stimmen.
Eine Form der Geistlosigkeit ist eine sich selbst missverstehende Interpretation der Naturwissenschaft, die so tut, als sei das Leib-Seele Problem oder Materie-Geist Problem bereits gelöst oder stünde kurz vor einer Lösung. „Gehirn produziert Geist“, heißt es, und man hört dann aus dem Munde von Neurowissenschaftlern Sätze wie „das Gehirn denkt“, oder „das Gehirn empfindet Schmerz“, oder „das Gehirn freut sich“.
Eine andere Form der Geistlosigkeit ist die Behauptung, die Neurowissenschaft hätte aufgedeckt, dass es keinen freien Willen gäbe. Trara, der Trauermarsch für die Fundamente unserer Kultur wird munter geblasen und kaum einen scheint es nachzudenklich zu stimmen. Vor allem aber: kaum einer nimmt gegenteilige Daten zur Kenntnis, die diesen scheinbaren Konsens etwas unbequem machen könnten.
Noch eine Form der Geistlosigkeit ist die Art, mit der Vertreter der Presse und der selbsternannten Skeptiker seit geraumer Zeit auf den „Homöopathen ohne Grenzen“ herumhacken. Scheinbar drei völlig verschiedene Themen? Nein, genau nicht! Warum nicht, das werde ich im Folgenden skizzieren. Fangen wir von hinten an:
„Homöopathen ohne Grenzen“ ist eine Ärzteorganisation, die freiwillige homöopathische Ärzte in alle Welt entsendet, vor allem dorthin, wo sonst niemand hingeht, um freiwillige und unentgeltliche Einsätze zu leisten. Die beteiligten Ärzte sind homöopathische Ärzte, die ihren Urlaub damit verbringnen – oder sich für eine begrenzte Zeit von ihrer Praxis freinehmen – und z.B. nach Afrika gehen und dort behandeln, meistens mit ihrer Methode, und wo dies nicht greift auch mit anderen Mitteln. Ich kenne einige von ihnen und bin beeindruckt von ihrem uneigennützigen Einsatz und ihrem Idealismus.
Im Sommer hielten die Homöopathen ohne Grenzen ihre Jahresversammlung in Berlin ab und luden dort zu einem kontroversen Podium ein, bei dem es um das Für und Wider der Homöopathie ging. Ich war da, neben zwei Kritikern, zwei Befürwortern und einem wohlwollend-kritischen Moderator. Das Podium brachte aus meiner Sicht nicht viele Neuigkeiten, außer, dass noch einmal klar wurde, warum Kritiker die Homöopathie so unmöglich finden: nämlich weniger, weil es keine oder zu wenig positive Befunde gibt, sondern: weil die Homöopathie ein Ärgernis darstellt und eine Verunsicherung.
Ich hatte ja in einem meiner letzten Blogbeiträge darauf hingewiesen: von 156 randomisierten und verblindeten Studien zu Homöopathie hatten 41% positive, 7% negative und 52% unklare Ergebnisse. Das sind ziemlich genau die gleichen Verhältnisse, mit denen Cochrane-Reviews ihre Datensammlung und -bewertung abschließen – über konventionelle medizinische Interventionen, die gut fundiert sind, gut bekannt – und weithin verwendet werden [1]. Die Homöopathie ist also, empirisch gesehen, in sehr guter Gesellschaft.
Studien zur Homöopathie zeigen in etwa die gleichen Verhältnisse, wie Studien zu konventionellen medizinischen Interventionen, die weithin verwendet werden.
Warum dann die Aufregung? Die Grundlagen der Homöopathie, denen zufolge man angeblich mit „nichts“ etwas bewirken können soll, oder positiv gesprochen: mit einer „geistartigen Wirkung der Arznei“, wie sich der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann ausdrückte, das ist der Stein des Anstoßes. Der „Geist“, also das materiell nicht Greifbare, das, was sich offenbar einem naturwissenschaftlichen Zugriff entzieht, das ist es, was Anstoß erregt.
Um es an dieser Stelle deutlich zu sagen: ich halte die Versuche mancher Forscher und Homöopathen, eine subtil-materielle Basis für die Homöopathie zu finden, indem sie eine Art der Nano-Pharmakologie postulieren, nicht für zielführend. Es spricht sehr vieles gegen eine solche Interpretation, da stimme ich allen Kritikern absolut zu, und ich habe an verschiedenen Stellen Argumente dafür geliefert, warum das aus meiner Sicht so ist [2]. Ob Hahnemann Recht hat mit seiner „geistartigen Wirkung der Arznei“, die er postuliert, ist noch einmal eine ganz andere Sache. Vielleicht beruht die Wirkung ja noch auf ganz anderen Prinzipien, auf die bisher noch gar niemand gekommen ist.
Aber man sieht an dem Beispiel: Phänomene, die sich nicht willig und eindeutig dem herrschenden Paradigma der Reduktion aller Phänomene auf eine materielle Basis fügen, werden entweder ignoriert oder bekämpft, je nachdem ob man sie für irrelevant oder für gefährlich hält. Dass das so ist, kann man daran erkennen, dass das journalistische „Netzwerk Recherche“ offenbar die Losung ausgegeben hat, man müsse über die Homöopathie nicht mehr objektiv berichten und führende „Skeptiker“, je nach Temperament, verkünden, man solle, oder man dürfe sich nicht mehr mit der Homöopathie beschäftigten, weil sie doch so offenbar gegen die Vernunft verstoße [3]. Ich orte hinter dieser Haltung weniger eine Sorge um die Vernunft, als vielmehr die Angst, eine ganz spezifische Interpretation der Rationalität und eine ganz bestimmte Art der Weltdeutung könnte ins Wanken geraten, nähme man die Homöopathie ernst.
Ich orte hinter dieser Haltung weniger eine Sorge um die Vernunft, als vielmehr die Angst eine ganz bestimmte Art der Weltdeutung könnte ins Wanken geraten.
Man fragt sich: Warum geraten gerade die Homöopathen ohne Grenzen seit diesem Berliner Sommersymposion unter Druck? Shaw hat sie kurz darauf mit einem aus meiner Sicht schlecht informierten und argumentativ völlig unzureichenden Rundumschlag bedacht [4]. Die österreichischen Skeptiker haben ihnen ihren Jahrespreis, das „Goldene Brett vor dem Kopf“ verliehen. Warum lässt man die Leute nicht einfach in Ruhe ihre Arbeit machen? Sie stehlen eigentlich keinem etwas. Dort, wo sie arbeiten, gibt es keine medizinische Versorgung, sonst wären sie nicht da. Und wenn sie nicht da wären, gäbe es gar nichts.
Also, so die implizite Haltung, lieber gar nichts und keine Behandlung und keine Ärzte als homöopathische? Wenn das nicht arrogant und geistlos ist? Aber es könnte natürlich sein, dass die behandelten Patienten in Afrika so begeistert sind, dass sie andere Behandlungen nicht mehr wollen oder seltener nachfragen, dass Homöopathie also auch in Afrika zu einer Medizin der Massen wird, wie dies schon in Indien der Fall ist. Schlecht für die Märkte, schlecht fürs Image, in der Tat. Aber warum kann man nicht einfach dem ansonsten doch so heiligen Markt, dem postmodernen Hohenpriester der Wirklichkeit, die Entscheidung überlassen? Warum meint man aktiv werden zu müssen?
Vielleicht ist es doch der ominöse Geist, der sich nicht austreiben lässt und in Form der Homöopathie sogar medizinisch herumwildert, der den Anstoß gibt und das Ärgernis darstellt?
Man hat vor gar nicht allzu langer Zeit gelesen und gehört, dass angeblich bewiesen sei, der Mensch habe keinen freien Willen. Die Experimente von Libet [5] schienen gezeigt zu haben, dass die Erfahrung der freien Entscheidung, z.B. einen Knopf zu drücken, erst stattfindet, nachdem im Gehirn ein Bereitschaftspotenzial festgestellt worden war, die man mit der aktuellen Einleitung der Bewegung in Verbindung brachte. Bereitschaftspotenziale sind negative, langsame Schwankungen, die man als eine Bereitschaft der entsprechenden neuronalen Areale interpretiert, aktiv zu werden. Die Interpretation des Experimentes lautet: Das Gehirn „konstruiert“ sich die Entscheidung des freien Willens, nachdem unbewusst schon längst eine Entscheidung gefallen ist.
Was dabei viele übersehen haben: Die Probanden in Libets Experimenten hatten immer die Freiheit gehabt, auch „nein“ zu sagen. Und außerdem war das Setting der Experimente sehr künstlich. Andere Experimente [6] konnten zeigen, dass nach Gehirnstimulationen Empfindungen eines Bewegungswunsches ausgelöst werden können, oder dass Menschen das Anhalten einer Maus auf einem Bildschirm, das in der Tat ohne deren Wissen von einer anderen Person erzeugt wird, als eigene Handlung erleben können, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind.
Nun haben meine Kollegen in Freiburg eine sehr sorgfältige Replikation der Libetschen Experimente durchgeführt [7]. Ich werde vielleicht in einem weiteren Beitrag gesondert drauf eingehen. An dieser Stelle reicht festzustellen: Sie haben sehr genau nachgeprüft und festgestellt, dass die berühmte negative Schwankung im Gehirnstromprofil, die man immer als „Bereitschaftspotenzial“ interpretiert hat und die der „freien Entscheidung“ einen Knopf zu drücken angeblich voraus geht, ein experimentelles Artefakt ist.
Es gibt nämlich genauso häufig positive wie negative Schwankungen, und die positiven sind nicht als Bereitschaftspotenziale bekannt. Der Fokus auf die negativen Potenziale und ihre enthusiastische Interpretation als „Entscheidung des Gehirns vor der bewussten Entscheidung des Bewusstseins“ kommt daher, dass man nicht sorgfältig genug geprüft hat und die Schwankungen in die andere Richtung entweder nicht bemerkt hat, oder sie unterschlagen hat, oder aber nicht oft genug gemessen hat. Libet, genauer gesagt die Interpretation seiner Experimente durch die Scientific Community, ist damit widerlegt.
Und? Geht nun ein erstaunter Ausruf durch die Wissenschaftlergemeinde? Nein. Das Beklemmende ist: Gar nichts geschieht. Man ignoriert die Daten einfach.
Und? Geht nun ein erstaunter Ausruf durch die Wissenschaftlergemeinde? Schließen sich die Neurowissenschaftler zusammen und sagen: „Sorry, Freunde, wir haben uns getäuscht. Wir wissen nicht, ob es einen freien Willen gibt oder nicht“? Oder, noch fairer eigentlich: „Tut uns leid Leute; kleiner Fehler passiert. Nicht sorgfältig genug geprüft; eines der vielen Artefakte“, so wie das jüngst die Editoren von Lancet auch für die Medizin beklagten?
Nein. Das Beklemmende ist: Gar nichts geschieht. Man ignoriert die Daten einfach. Denn das ist bequemer, als sich mit ihnen auseinander zu setzen. Denn das würde einen Mainstream-Konsens erschüttern, den man schon meint erreicht zu haben. Dass es nämlich keinen Geist und keinen Willen im traditionellen Sinne gäbe. Lieber so tun als wäre nichts gewesen. Ich finde das entweder inkompetent oder arrogant, je nach meiner momentanen Stimmung. Geist, so scheint es, muß auf jeden Fall reduzierbar sein auf materielles Geschehen. Und wo das nicht so ist, da schauen wir mal lieber nicht hin.
Man meint es ja schon zu wissen. Geist IST neuronale Aktivität, so lautet das implizite Mainstream-Dogma. Dass eine ganze Reihe von Philosophen Einspruch angemeldet haben, kümmert unsere Kollegen aus der Neuroforschung und ihre Hofberichterstatter aus den Wissenschaftsredaktionen nicht. Hoche hat darauf hingewiesen, dass schon rein sprachlich, aber auch logisch, mentale und physikalische Sprachkonzepte nicht aufeinander reduzierbar sind. Chalmers hat gezeigt, dass eine ganz bestimmte Form von materialistischer Spielart nicht funktioniert. Noe hat kürzlich seine Stimme erhoben und klug argumentiert, dass und warum das Gehirn nicht identisch ist mit dem Geist. Gerade eben hat Thomas Nagel noch einen weiteren Nagel in den Sarg eines physikalistischen Konzept des Geistes geschlagen, indem er zeigt dass es nun wirklich ein bisschen zu simplistisch ist so zu tun, als hätten wir den gordischen Knoten des Leib-Seele-Problems schon gelöst oder seien kurz davor. [8]
Vermutlich benötigen wir auch eine quantentheorie-ähnliche Beschreibung, um das Verhältnis von Leib und Seele, von Geist und Gehirn zu charakterisieren.
Wir selber haben wiederholt darauf hingewiesen, dass das Verhältnis von mental-psychischem System zu materiell-physiologischem System eher ein komplementäres, also nicht aufeinander reduzierbares Verhältnis ist, ein Argument, das zwar nicht der Sprache, aber der Sache nach schon von Leibniz angewandt worden ist [9]. Vermutlich benötigen wir auch eine quantentheorie-ähnliche Beschreibung, um das Verhältnis von Leib und Seele, von Geist und Gehirn zu charakterisieren. Das erkennt man leicht daran, dass unser psychischer Zustand sich ändert, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf ihn richten und mit ihm häufig auch unser leiblicher Zustand. Die Tatsache, dass „Messvorgänge“ den gemessenen Gegenstand verändern, gibt es in der klassischen Theoriewelt nicht: ein Stück Holz, das ich mit einem Metermass der Länge nach vermesse ändert deshalb nicht seine Länge.
Dass sich der gemessene Gegenstand durch die Messung selbst verändert ist ein Charakteristikum der Quantentheorie und solche Gegenstände bedürfen einer quantenähnlichen Beschreibung (nicht der physikalischen Quantenmechanik, bitteschön, sondern einer allgemeinen Theoriegruppe der quantentheoretischen Konzeption; das ist ein wichtiger Unterschied!).
…nicht der physikalischen Quantenmechanik, bitteschön, sondern einer allgemeinen Theoriegruppe der quantentheoretischen Konzeption; das ist ein wichtiger Unterschied…
Wenn das Feststellen und Verändern eines psychischen Zustandes durch Lenkung unserer Aufmerksamkeit nicht nur diesen Zustand selber ändert, sondern auch die sie begleitende Physiologie – jeder der meditiert, Entspannungsübungen macht, oder sich die Ursachen für seinen Ärger bewusst macht kann dies beobachten – dann benötigt man zu dieser Beschreibung eine nicht-klassische Theorie. Technisch gesprochen: man benötigt ein Modell, das die beiden Systeme, das psychische und das physische, als komplementäre Systeme behandelt.
Und damit sind sie schon definitionsgemäß nicht mehr auf einander reduzierbar. Mentale Konzepte sind also nicht eindeutig auf physikalisch-physiologische Konzepte reduzierbar. Es gibt keine Theorie, die das leistet, obwohl wir schon seit Dekaden mit dem Versprechen leben müssen, es sei nur noch ein kleiner Schritt um die Ecke und da warte sie schon. Und ich meine, wir haben auch damit begonnen plausibel zu machen, warum das nicht klappen kann [10]. Ein erster Schritt zu einer Lösung wäre zu akzeptieren, dass leibliche und psychische Prozesse als komplementär aufeinander bezogene und nicht aufeinander reduzierbare Prozesse zusammengehören, um den lebendigen Menschen zu charakterisieren, das Individuum als beseelten Leib.
Mir ist nicht bekannt, dass eines der hier kurz skizzierten Argumentationsfiguren [8 – 10] wirklich kompetent widerlegt oder argumentativ-wissenschaftlich in Frage gestellt worden wäre. Man geht halt zur Tagesordnung über und macht weiter. Und tut so, als könne man diese Argumente ignorieren. Kann man ja. Aber das ist eben eigentlich nicht Wissenschaft, sondern Wissenschaftsreligion.
Man kann diese Argumente ja ignorieren, aber das ist eben nicht Wissenschaft, sondern Wissenschaftsreligion.
Nämlich eine bestimmte Spielform von Wissenschaft, die von einem Satz impliziter Voraussetzungen ausgeht, bei denen schon entschieden ist, dass im Grunde nur eine materialistische Weltdeutung – höchstwahrscheinlich, wahrscheinlich, vermutlich, naja schätzungsweise – stimmt. Und weil es gar nicht um Wissenschaft geht, sondern um Ideologie, um Wissenschaftsreligion, darum werden Dissidenten abgekanzelt und ausgegrenzt.
Rupert Sheldrake hat in seinem jüngsten Buch „Der Wissenschaftswahn“ ziemlich klar und unaufgeregt einige dieser impliziten Dogmen herausgegriffen und sich die Frage erlaubt, was passiert, wenn man diese Dogmen in Fragen umformuliert, sich also die Freiheit nimmt, sie in Frage zu stellen [11]. Dann merkt man plötzlich, dass wir weniger Sicherheit haben, aber möglicherweise mehr Erkenntnis gewinnen könnten. Wenn man nicht behauptet: Materie ist die letzte Dimension im Universum, auf die alles reduzierbar ist, oder sein muss. Sondern fragt: Ist es wirklich so, dass Materie die letzte Dimension im Universum ist?
Dann merkt man plötzlich, dass die Annahme vielleicht nicht stimmt. Und die von mir oben bemühten Beispiele: die Homöopathie; die Frage, ob es Geist und freien Willen gibt; die Frage, ob das Gehirn mit dem Geist identisch ist; diese Beispiele verbindet eine Konstante: sie alle zeigen, dass womöglich Materie in der Vulgärversion, in der sie einer religiös überhöhten Form der Wissenschaft, die Husserl Szientismus genannt hat, zugrunde liegt, nicht die letzte unreduzierbare Größe im Universum ist.
Das ist im Grunde eine neue, postmoderne Religion, die sich zur Legitimation das Mäntelchen der Wissenschaft umhängt.
Manche setzen sich einfach über Daten, über gute Argumente, über interessante Phänomene hinweg, nehmen sie nicht zur Kenntnis, ignorieren oder bagatellisieren sie, um einer vermeintlichen Sicherheit willen und um einer im tiefsten haltlosen Ideologie willen. Das ist im Grunde eine neue, postmoderne Religion, die sich zur Legitimation das Mäntelchen der Wissenschaft umhängt. Ich würde sie „Mastafarianer“ nennen, in Anlehnung an die „Pastafarianer“ [12]. Wie die Pastafarianer, die das Spagetti-Monster anbeten, beten die Mastafarianer die Materie und eine Billigversion der Wissenschaft an, von der sie denken, sie würde alles erklären. Ein bisschen geistlos und begrenzt – da finde ich die Pastafarianer ehrlich gesagt witziger –, aber warum nicht, wenn es sich denn als Religion und nicht als Wissenschaft präsentieren würde.
Einstein sagte einmal: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Der Geist ist sicherlich auch unendlich und grenzenlos. Das finde ich wiederum beruhigend.
Nachweise
[1] Milgrom, L. R. (2012). Homeopathy UK: The sick man of Europe? Forschende Komplementärmedizin, 19, 120-122. (Fairerweise und um Missverständnissen vorzubeugen ist es wichtig zu verstehen, dass es sich bei Cochrane Reviews um viele Überblicksarbeiten über viele Einzelstudien bei vielen Interventionen handelt, und im Fall der Homöopathie um einzelne Studien. Insofern kann man daraus natürlich nicht ableiten, dass Homöopathie genauso gut oder genauso schlecht belegt ist, wie konventionelle Behandlungen. Denn klarerweise ist ja der Vergleichspunkt ein anderer: hier eine einzelne Methode, da eine ganze Reihe von verschiedenen Inteventionen. Aber ich finde es interessant, dass beinahe die gleichen Verhältnisse von positiven, negativen und unklaren Ergebnissen vorliegen.)
[2] Walach, H. (2000). Magic of signs: a non-local interpretation of homeopathy. British Homeopathic Journal, 89, 127-140.
Walach, H. (2009). Homeopathic pathogenetic trials – A summary of 20 years of reflection, data collection, and analysis. In C. Witt & H. Albrecht (Eds.), New Directions in Homeopathy Research: Advice from an Interdisciplinary Conference (pp. 43-66). Essen: KVC-Verlag.
[3] https://www.dzvhae.de/homoeopathie-fuer-aerzte-und-fachpublikum/newsletter-1-540/homoeopathische-nachrichten.html
[4] Shaw, D. M. (2013). Homeopaths without borders practice exploitation not humanitarianism. British Medical Journal, 347, f5448.
[5] sehr gut zusammengefasst in Libet, B. (1999). Do we have free will? Journal of Consciousness Studies, 6, 47-57.
[6] Desmurget, M., Reilly, K. T., Richard, N., Szathmari, A., Mottolese, C., & Sirigu, A. (2009). Movement intention after parietal cortex stimulation in humans. Science, 324, 811-813.
Wegner, D. M., & Wheatley, T. (1999). Apparent mental causation. Sources of the experience of will. American Psychologist, 54, 480-492.
[7] Jo, H.-G., Hinterberger, T., Wittmann, M., Lhündrup Borghardt, T., & Schmidt, S. (2013). Spontaneous EEg fluctuations determine the readiness potential: Is preconcsious brain activation a preparation process to move? Experimental Brain Research, DOI 10.1007/s00221-013-3713-z.
[8] Hoche, H.-U. (2008). Anthropological Complementarism. Linguistic, Logical, and Phenomenological Studies in Support of a Third Way Beyond Dualism and Monism. Paderborn: Mentis Verlag.
Chalmers, D. J. (1996). The Conscious Mind. In Search of a Fundamental Theory. New York, Oxford: Oxford University Press.
Noë, A. (2009). Out of Our Heads: Why You are Not your Brain, and Other Lessons from the Biology of Consciousness. New York: Hill & Wang.
Nagel, T. (2012). Mind and Cosmos: Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False. Oxford: Oxford University Press.
[9] Leibniz hat das Gedankenexperiment vorgestellt, man solle sich das Gehirn bzw. den Organismus vergrössert vorstellen, etwa wie eine begehbare Mühle. Auch wenn man alle mechanischen Prinzipien darin verstehen würde, so würde man doch keine Wahrnehmung, also keinen Geist darin antreffen. Man findet es in Leibniz, G. W. (1966). Monadologie (1714). In A. Buchenau & E. Cassirer (Eds.), Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie (Vol. 2, pp. 435-456). Hamburg: Meiner, § 17, als das bekannte „Mühlengleichnis“: „Man muss ferner notwendig zugestehen, daß die Perzeption und was von ihr abhängt aus mechanischen Gründen, d.h. aus Gestalt und Bewegung, nicht erklärbar ist. Denkt man sich etwa eine Maschine, deren Einrichtung so beschaffen wäre, daß sie zu denken, zu empfinden und zu perzipieren vermöchte, so kann man sie sich unter Beibehaltung derselben Verhältnisse vergrößert denken, sodaß man in sie wie in eine Mühle hineintreten könnte. Untersucht man alsdann ihr Inneres, so wird man in ihm nichts als Stücke finden, die einander stoßen, niemals aber Etwas, woraus man eine Perzeption erklären könnte. Den Grund hierfür muß man also in der einfachen Substanz, nicht im Zusammengesetzten oder in der Maschine suchen.“ Peter Bieri hat noch in Bieri, P. (1995). Why is consciousness puzzling? In T. Metzinger (Ed.), Conscious Experience (pp. 45-60). Thoverton: Imprint Academic auf eben dieses Gleichnis als Hinweis darauf hingewiesen, welches das Problem ist und dass es immer noch als Problem zu sehen ist. Diese Situation hat sich aus meiner Sicht in den vergangenen 20 Jahren nicht geändert.
[10] Römer, H., & Walach, H. (2011). Complementarity of phenomenal and physiological observables: A primer on generalised quantum theory and its scope for neuroscience and consciousness studies. In H. Walach, S. Schmidt & W. B. Jonas (Eds.), Neuroscience, Consciousness and Spirituality (pp. 97-107). Dordrecht: Springer.
Walach, H., & Römer, H. (2000). Complementarity is a useful concept for consciousness studies. A reminder. Neuroendocrinology Letters, 21, 221-232.
Walach, H., & Römer, H. (2011). Generalized entanglement – A nonreductive option for a phenomenologically dualist and ontologically monist view of consciousness. In H. Walach, S. Schmidt & W. B. Jonas (Eds.), Neuroscience, Consciousness and Spirituality (pp. 81-95). Dordrecht: Springer.
[11] Sheldrake, R. (2013). The Science Delusion: Freeing the Spirit of Inquiry. London: Hodder & Stouton.
[12] Walach, H. (2008). Spaghetti monster and quality control – new religions taking over (editorial). Spirituality and Health International, 9, 1-5. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/shi.336/pdf